Newsletter August 2017

Liebe Eltern, liebe Freunde und Interessierte

 

Kaum werden die lieben Kinderlein aktiver und selbständiger, reduziert sich die Sprache von uns Eltern auf den Einsatz einer einzigen Form: der Befehlsform. "Nid alange!" "Chumm abe!" "Lass das!" Erst wieder so beobachtet im Zug von St.Gallen nach Buchs. Ich sah die Ausrufezeichen buchstäblich durch die Luft tanzen! 

 

Nicht dass es diesen Eltern an Fürsorge oder Liebe zu ihren Kleinen mangelt, aber dem Kind sind wir sprachlich weder ein gutes Vorbild noch können wir auf grossen Erfolg unserer Wünsche hoffen. Ein Kind kooperiert nämlich lieber mit der Person als mit den Worten. Manchmal ist es für die Kinder extrem anspruchsvoll, die Mama oder den Papa hinter deren Sprache zu finden, aber zum Glück sind die Kleinen ausdauernd und hartnäckig. Was dann allerdings meist nach noch mehr Imperativ verlangt!

Um die Verantwortung für uns selbst in Beziehung zu anderen Menschen übernehmen zu können, brauchen wir eine persönliche Sprache. Eine Sprache die unsere Gefühle, Reaktionen, Bedürfnisse und Grenzen formuliert. Die persönliche Sprache ist wichtig, um persönliche und zwischenmenschliche Konflikte, Gedanken und Gefühle auszudrücken.

 

" Die persönliche Sprache vermittelt die persönlichen Gedanken, Werte und Gefühle des individuellen Menschen in einem Gesamtausdruck, der nach grösstmöglicher Übereinstimmung zwischen dem inneren Empfinden und äusseren Ausdruck strebt. Die persönliche Sprache ist somit der zu jeder Zeit authentischste Ausdruck der Integrität des Individuums."

(Jesper Juul, Helle Jensen: Vom Gehorsam zur Verantwortung)

 

Oder poetischer:

 

"Was immer du zu sagen hast,

lass die Wurzeln dran,

lass sie hängen, mitsamt der Erde,

um klar zu machen, woher sie kommen."

Charles Olson

 

Wenn ich nochmals an die Zugfahrt zurückdenke, wie könnte ich mein Kind vom herum klettern abhalten? Vielleicht so: "Ich weiss, es ist schwierig, so lange ruhig sitzen zu müssen. Aber ich will, dass du vom Sitz runtersteigst. Sollen wir zusammen aus dem Fenster schauen?" 

 

Kein Garant, dass die Reise bis zum Schluss entspannt bleibt, aber das Kind fühlt sich jedenfalls weder falsch noch verletzt und alle Beteiligten behalten ihre Integrität. Den meisten Erwachsenen wurde im Lauf ihrer eigenen Erziehung die persönliche Sprache abtrainiert und wir empfinden es heute als bedrohlich oder egoistisch, uns persönlich auszudrücken. Vielleicht gelingt es uns eines Tages wieder, unsere Worte zwar nicht auf die Goldwaage zu legen aber doch etwas bedächtiger zu wählen und unsere eigene, individuelle Ausdrucksweise zu finden. 

 

Das Schöne an der Sprache ist ja, dass sie uns Menschen so verbindet. Nicht nur die Worte, auch die Zuwendung, die Mimik, das Spiel von Ausdruck und Gefühl- all das bildet eine Basis für Beziehung. Wie schade, wenn die Worte im Handy landen und ich als Kind, mit Blick nach vorne, von Mama durch die Welt geschoben werde. 

Ein sehr ansprechendes Video von der Firma Weleda zu diesem Thema finden Sie hier.

Wenn ich die vielen möglichen und unmöglichen Kinderwagenmodelle auf der Strasse sehe, dann scheint mir die jahrelange Aufforderung des Vereins Spielraum- Lebensraum aktueller denn je- kehrt die Kinderwagen um!

 

Der vor Kurzem im Tagesanzeiger erschienene Artikel in Zusammenarbeit mit Maria Luisa Nüesch über den Handywahn im Gebärsaal schlug hohe Wellen. Wir freuen uns sehr darüber, dass wir bereits die zweite Auflage unseres Flyers über digitale Medien als Spielverderber für Babys und Kleinkinder in Auftrag geben durften. Immer mehr Fachstellen in der Schweiz, aber auch im angrenzenden Österreich und Deutschland, schätzen die auf den Punkt gebrachten Informationen zum abgeben an werdende Eltern. Flyer und Broschüren können wie immer über unseren Onlineshop bestellt werden. Den oben erwähnten Artikel finden Sie hier.

 

Erfinde eine neue Sprache,

die Kirschblütensprache,

Apfelblütenworte,

rosa und weisse Worte,

die der Wind

lautlos

davonträgt.

 

Vertraue dich dem Obstbaum an,

wenn dir ein Unrecht geschieht.

Lerne zu schweigen

in der rosa

und weissen Sprache.

 

Hilde Domin

 

Allen Wiegestube-Kindern wünsche ich von Herzen einen guten Start nach der grossen Sommerpause und Ihnen, liebe Leser, viel Freude am Reden, ebenso viel Freude beim Zuhören und wunderbare Spätsommertage...

 

Jeannette Berger